Leo Trotzki

Zur Verteidigung der Partei

* * *

8. Noch einmal über die
gehässige Unparteilichkeit


Nach Schriften zur revolutionären Organisation, Reinbek bei Hamburg 1970, S. 212–252.


Dans oben angeführter Bericht stellt eine kurze Skizze der Bewegung während der Jahre 1900–1904 dar. Der Autor beschönigt nichts, im Gegenteil, wenn man ihn irgendeiner Sache beschuldigen kann, so der, dass er die Fehler der Parteiarbeit in den Vordergrund stellt, mitunter sogar unter Verletzung der notwendigen Perspektive. Der Verfasser denkt jedoch an den sozialistischen Leser, der eine Skizze über die Entwicklung der russischen Sektion der internationalen Sozialdemokratie natürlich nicht mit der Absicht aufnimmt, seine Partei zu beschimpfen. Anders verhält es sich mit Frau Kuskowa, die es fertigbringt, aus ihrer Rezension eine böswillige Schmähschrift zu machen. Die Grundthese von Frau Kuskowa ist sehr simpel: „Die russische Arbeiterbewegung, die sich mit logischer Gesetzmäßigkeit entwickelte, fand ihre Führerin nicht in der Sozialdemokratie.“ [J] Nichts leichter, als diese These zu beweisen – und zwar nicht nur bei der russischen, sondern auch bei der deutschen Sozialdemokratie. Auch in Deutschland stellt die Parteiorganisation im Vergleich zum zahlenmäßigen Umfang der Klasse eine unbedeutende Größe dar. Natürlich drückt sich der politische Einfluss der Partei in einem wesentlich größeren Radius aus, als ihn ihre organisatorische Peripherie erreicht. Aber auch in Deutschland gibt es noch breite Schichten von Arbeitern, die außerhalb des unmittelbaren Einflusses der Partei stehen. Schließlich erfüllt die Partei innerhalb ihres Einflussgebiets keineswegs alle Bedürfnisse der Arbeiterbewegung voll und in gleichem Maß. Die Lücken, die zwischen Partei und Klasse offen bleiben, benutzen bürgerliche Politiker, um ihre Nasen hineinzustecken und, wenn der Spalt breit genug ist, auch die Hand. So könnte auch die deutsche Sozialdemokratie, der Stolz der Internationale, nicht Führerin der Arbeiterbewegung im vollen Sinn dieses Wortes genannt werden. Kann man jedoch für einen so lebendigen Organismus wie eine politische Partei überhaupt ein absolutes Kriterium benutzen? Die Sozialdemokratie bedeutet die Vereinigung von wissenschaftlichem Sozialismus und Arbeiter-Massenbewegung. Das ist eine komplizierte und vielschichtige Entwicklung, die ihrerseits eine lange Reihe innerer Prozesse durchläuft. Wenden wir uns der Geschichte der Sozialdemokratie „um der Idee, nicht jedoch um der Schmähung willen“ zu – man verzeihe mir diesen keineswegs einwandfreien Ausdruck von Frau Kuskowa –, so muss die Frage nach der Rolle der Partei historisch gestellt werden: Wuchs die Sozialdemokratie, vertiefte sich ihr Einfluss, mit einem Wort, wuchs sie allmählich in die Rolle der Führerin der Arbeiter-Massenbewegung hinein? Diese Fragestellung erfasst das richtige Kriterium für die Einschätzung vergangener Parteiarbeit. Die sorgfältige Analyse kann klären, welche ihrer inneren Strömungen historisch notwendig und damit progressiv waren und welche auf das Konto von Irrtümern, falschen Ansichten, Doktrinarismus und Enthusiasmus zu buchen sind. Die objektive historische Analyse schafft Raum für eine produktive politische Moral. Wenn man sich jedoch als Ziel stellt, den Beweis zu führen, dass sich die russische Sozialdemokratie als solche nicht als Führerin der Arbeiterbewegung als solcher herausstelle, so wird die ganze Aufgabe furchtbar einfach und sogar für Frau Kuskowa lösbar: Man braucht nur ein Dutzend Fakten negativen Charakters auszuwählen, Beispiele für Irrtümer der Partei, für innere Zwistigkeiten, Widersprüche und Fehler. An die Stelle historischer Analyse wird die künstliche Auswahl von Indizien gesetzt. Das ist die gleiche Methode, mit der die orthodoxe Kirche die Gräuel der römisch-katholischen Häresie nachweist. Darin liegt der Sinn nicht nur des Aufsätzchens von Frau Kuskowa, sondern auch das Wesen aller Kritik, die von den Revisionisten gegen die Partei selbst gerichtet wird. So „verfährt“, wie wir schon sahen, auch Herr Prokopowitsch. Und von der „kritischen“ Unterstützung dieser Herrschaften lebt die gesamte liberale Presse, die zur Problematik des Sozialismus noch nicht einmal eigene Begriffe besitzt.

Herr Prokopowitsch stellte der Partei den Rat der Arbeiterdeputierten entgegen; Frau Kuskowa konzentrierte sich auf andere Momente in unserer Parteigeschichte. Sie spricht von den erfolgreichen Versuchen polizeilicher Demagogie, von der Massenbewegung der Subatow-Leute und der Gapon-Anhänger in Zusammenhang mit organisatorischer Isolation der Sozialdemokratie.

Wenn die Kritikerin unserer illegalen Unauffälligkeit die lauten „Erfolge“ der polizeilichen Demagogie gegenüberstellt, so vergisst sie, dass allein das Vorhandensein bewusster Elemente in der Masse der Arbeiter dieser Masse insgesamt die Möglichkeit gab, mit erstaunlicher Schärfe den wahren Kern des Polizei-Sozialismus zu erkennen und seine Truppen zu überwinden. Mehr noch: Die Ereignisse selbst, deren äußerer Gestalt die Hand der Polizei einen so deutlichen Stempel aufdrückte, waren bei weitem nicht in vollem Umfang die Angelegenheit der Subatows, Schajewitschs und Gapons. Als Abkömmlinge eines anderen sozialen Milieus und bar jeder Erfahrung in der Agitation, verliehen sie stets der überaus natürlichen Furcht der Polizei vor der Masse Ausdruck. Sie stellten sich niemals das Ziel, große Ereignisse hervorzurufen. Die Masse jedoch drang zum großen Entsetzen der Polizeidemagogen jedes Mal wie ein mächtiger Strom in die geöffneten Schleusen ein. Die künstliche Isolierung, in der die Subatow-Leute die von ihnen hervorgerufenen partiellen Streiks hielten, erregte weite Arbeiterkreise. Und hier ist der Punkt, wo die Arbeit der Sozialdemokratie begann. In solchen Momenten setzte sich ihr gesamter illegaler Apparat in Bewegung und stieß tief in die Masse vor. Die Eskalation eines Streiks bis auf die Ebene eines „Generalstreiks“ wurde immer dank der Sozialdemokratie vollzogen, sie lag weder in der Absicht der Subatow-Leute noch stand sie in ihren Kräften. Die sozialdemokratischen Agitatoren – Intellektuelle und Arbeiter – führten immer neue Betriebe und Fabriken in den Streik; das lokale Parteikomitee verbreitete Zehntausende von Flugblättern, in denen es den Verlauf der Bewegung bekannt machte und Losungen formulierte. Auf Fabrik- und Straßenversammlungen traten Dutzende von sozialdemokratischen Rednern auf. Natürlich war all diese Parteiarbeit nur dank der spontanen Bewegung der Masse selbst möglich; das „spontane Element“ jedoch bestimmte gleichermaßen den fragwürdigen „Erfolg“ der Subatow-Agenten und die unbestreitbaren Erfolge der sozialdemokratischen Organisation. Wer eine auch nur irgendwie konkrete Vorstellung von der inneren Mechanik eines Massenstreiks besitzt, wird uns darin zustimmen, dass nur hoffnungslose Kurzsichtigkeit den grandiosen Streik in Odessa der Person von Schajewitsch oder den 9. Januar der Person von Gapon zuschreiben kann.

Gerade zu der Gapon-Geschichte berichte ich hier, was mir mein Freund P. A. Slydnew, dessen Unvoreingenommenheit alle kennen, die in der Arbeit mit ihm zusammengetroffen sind, aufgrund persönlicher Erlebnisse mitteilt:

„Die Bewegung, die zum 9. Januar führte, wird auf den Seiten der Geschichte der russischen Revolution wahrscheinlich als die Bewegung Gapons ausgeführt werden. Die Gerechtigkeit befiehlt jedoch darauf hinzuweisen, dass sie keineswegs ausschließlich die Bewegung Gapons war. Abgesehen davon, dass sie nicht unter Direktiven ablief, die von der Gaponschen Organisation klar und unmissverständlich formuliert worden wären, bewiesen die Mitglieder dieser Organisation selbst keineswegs Entschlossenheit und Zuversicht auch nur für die Erweiterung des Streiks und die Gewinnung neuer Kräfte, ohne die der 9. Januar selbst undenkbar gewesen wäre.

Ungeachtet der Behauptungen liberaler Schreiberseelen, die alles prophezeien und sich niemals irren, spielte die Sozialdemokratie in dieser Bewegung eine keineswegs unbedeutende Rolle; ihre Mitglieder waren an der Durchführung des Streiks und seiner Ausweitung überall aktiv beteiligt, wo sich das als möglich erwies. Obgleich der Streik bei Semjannikow am Newski-Tor anscheinend noch vor dem 4. Januar begonnen hatte, arbeiteten alle übrigen Fabriken weiter und schlossen sich erst später an. Die Arbeitseinstellung in diesen Fabriken geschah auf Initiative und unter Leitung organisierter Sozialdemokraten. Nach den Obuchow-Werken brachte man die Papier-, die Porzellan- und andere Werke und Fabriken zum Stillstand.

Damit war die Tätigkeit der Sozialdemokratie nicht erschöpft. Sie schickte ihre Agitatoren beständig in die Gaponschen Versammlungen, wobei ich gar nicht von den sozialdemokratischen Arbeitern und Mitgliedern der Partei spreche, die aus eigener Entscheidung auf den Versammlungen auftraten.

Es ist richtig, das Verhältnis zur Sozialdemokratie war anfangs nicht gut, wiederholt schrie man auf den Versammlungen: „Nieder mit der Sozialdemokratie!“, wobei die Gaponleute selbst, deren ursprüngliches Ziel die Kompromittierung der Sozialdemokratie war, großen Eifer an den Tag legten. Das gelang ihnen aber jedenfalls nur während der allerersten Tage der Bewegung im Januar. Am Abend des 7. und am 8. Januar traten die Sozialdemokraten nicht nur als die Redner auf, deren Beiträge mit Beifallsstürmen überschüttet wurden, sie traten als Gegner der liberalen Redner auf und hatten Erfolg bei den Massen.“

P. A. Slydnew spricht hier über den Newski-Rayon, dessen Wirklichkeit er als Arbeiter der Obuchow-Werke selbst aus nächster Nähe erlebt hat. In den anderen Rayons war die Rolle der Sozialdemokratie jedoch noch ungleich bedeutender. So war auf der Wasilewski-Insel die Leitung der Bewegung völlig in Händen der Partei. Die berühmte Gaponsche Petition lebte dem Inhalt ihrer Forderungen nach ganz und gar auf Kosten der vorausgegangenen sozialdemokratischen Propaganda in den Arbeitermassen und der Tätigkeit der Partei-Agitatoren in den Januar-Tagen. Nach dem 9. Januar verdrängte die Forderung nach der Konstituierenden Versammlung die verschwommene Formulierung des Semstwo-Kongresses und wurde immer mehr zur allgemeinen Losung des Volkes. Gapon hatte daran sehr wenig Anteil; das ist ein unbestreitbares Verdienst der Sozialdemokratie.

Die nächste Etappe in der Chronologie der Petersburger und weithin auch der gesamtrussischen Bewegung war die der Schidlowski-Kommission; hier sei noch angeführt, was der gleiche Zlydnev aus diesem Anlass berichtet, der einer der Wahlmänner und infolgedessen an den Ereignissen unmittelbar beteiligt war. Er schreibt:

„Wenn schon am 9. Januar die Sozialdemokratie nicht an der Spitze der Bewegung stand, so nahm sie in der Bewegung, die mit der Kommission des Senators Schidlowski verbunden war, den Rang einer unbestrittenen Führerin ein.

Die Agitation unter den Arbeitern zur Zeit der Wahlen, die Organisierung der Wahlmännerversammlungen in den Rayons, die Agitation unter den Wahlmännern und natürlich die Agitation während des Streiks nach der Weigerung Schidlowskis, die Forderungen zu erfüllen, und nach der Verhaftung vieler Deputierter – all das lag in den Händen der Sozialdemokratie. Die auf der Deputiertenversammlung angenommene Resolution war von der Sozialdemokratie vorgelegt. Auch die gesamte Taktik gegenüber der Kommission wurde von der Partei ausgearbeitet und realisiert.

In dieser ganzen Arbeit spielte die Sozialdemokratie – ich wiederhole – eine beherrschende Rolle. Unter den Deputierten gab es eine bedeutende Anzahl von Sozialdemokraten, die in die Parteiorganisation eingetreten waren. Als Gradmesser des Einflusses und der Autorität der Partei in dieser ganzen Kampagne kann die Tatsache dienen, dass viele Deputierte, die früher nur Sympathisanten der revolutionären Bewegung waren, nach der Schidlowski-Kömmission Parteimitglieder wurden und danach am Rat der Arbeiterdeputierten teilnahmen.“

Nicht genug, dass Frau Kuskowa einige rein zufällige Indizien anführt, statt Tatsachen zu analysieren – diese Indizien selbst erweisen sich nahezu ausnahmslos als falsch; die Daten sind durcheinander geworfen, die Mitteilungen verzerrt, Verbindungslinien und Beziehungen unterbrochen, alles ist in ungenaue und zusammenhanglose Stücke zerschnitten, die völlig vermischt und willkürlich aneinandergereiht wurden. Die Partei geht letztlich aus dem kritischen Laboratorium von Frau Kuskowa in restlos verstümmelter Gestalt hervor: die Beine unter dem Arm, die Nase auf dem Hinterkopf, und anstelle der Augen, die Frau Kuskowa eigenhändig ausgekratzt hat, zwei klaffende Höhlen.

Man urteile selbst!

„Lange und hartnäckig diskutierte die Sozialdemokratie mit den Arbeitern über den Mehrwert, über Kapitalismus und Sozialismus, über die demokratische Republik und andere notwendige, aber nicht greifbare [K], abstrakte Dinge; es kamen der Geheimpolizist Subatow und sein Helfer Schajewitsch. Sie begannen über ökonomische Bedürfnisse und eine breite Organisation zu ihrer Verteidigung (zur Verteidigung der Bedürfnisse!) zu reden – und die Masse stand auf und marschierte los.“

Wahrhaftig? Wie interessant ist doch das alles! Ist es aber auch richtig? Nein, Gnädigste, es ist von vorn bis hinten falsch. Die Subatowschtschina trat ganz zu Ende des vorigen Jahrhunderts auf. Ihre große Zeit – die Februar-„Demonstration“ in Moskau und die Tätigkeit Schajewitschs in Odessa – fällt in die Jahre 1902 und 1903. Die russischen Sozialdemokraten indessen gingen bereits Mitte der 90er Jahre zur Massenagitation auf der Grundlage der „Groscheninteressen“ über. 1894 erschien die Broschüre „Über Agitation“, die die Aufgaben der Agitation auf der Basis des Streikkampfs formulierte. 1897 entstand die Rabotschaja Mysl, die sehr wenig von der Republik und anderen „notwendigen, aber nicht greifbaren“ Dingen redete, sehr viel jedoch von der „Verteidigung der Bedürfnisse“. Noch vor dem Entstehen dieser „ökonomistischen“ Richtung jedoch spielte der Petersburger Kampfbund eine große Rolle in dem bedeutenden Streik der Textilarbeiter im Jahre 1896. „Es kam der Geheimpolizist Subatow – und die Masse stand auf und marschierte los“: Das klingt vielleicht sehr eindrucksvoll, aber es ist nicht richtig. Das Verhalten des Geheimpolizisten Subatow selbst gegenüber der Sozialdemokratie entsprach mehr der Realität. Er schrieb sich keineswegs die Entdeckung einer neuen Methode zu, auf die Masse Einfluss zu nehmen; er schlug lediglich der Regierung vor, den Sozialdemokraten die Methode aus den Händen zu winden, die sie mit Erfolg benutzten. Haben Sie seinen Bericht gelesen, der im Auftrag des damaligen Moskauer Polizeichefs Trepow verfasst war? Lesen Sie ihn! Subatow sagt dort, dass die ganze Stärke der Sozialdemokraten darin bestehe, dass sie all ihre Agitation auf den kleinen, tagtäglichen Bedürfnissen der Arbeitermasse aufbauten.

Sie schreiben, dass „1903 der erste Generalstreik stattfand, der in Odessa von Schajewitsch organisiert wurde“, während die Sozialdemokratie nach Ihren Worten „nicht ein einziges Mal“ eine breitere Masse auf sich gezogen habe. Das ist, Verehrteste, nicht richtig. Der wichtige Massenstreik in Rostow im Jahre 1902, der ein Vorläufer der südrussischen Ereignisse des Jahres 1903 war, vollzog sich ausschließlich unter der Leitung unseres Parteikomitees. Weiterhin ist unrichtig, dass Sajewitsch einen Generalstreik „organisiert“ hätte. Soweit er überhaupt organisiert wurde, war die Rolle der Partei dabei bestimmt nicht geringer als die der Subatow-Leute in Odessa. Allerdings fanden zugleich mit dem Streik in Odessa Generalstreiks in Baku, Tiflis, Batum, Kiew, Nikolajew, Jekaterinoslaw und Jelisawetgrad statt, wo die Subatow-Leute keinen oder kaum Einfluss besaßen. Wenn Frau Kuskowa davon keine Ahnung hat, so kann sie das in eben der Broschüre Dans nachlesen, die als Vorwand für ihren Artikel dient. Aber Frau Kuskowa muss ja wohl ihren Hohn. gegenüber der Sozialdemokratie kontinuierlich verstärken. Aber Tatsachen? – um so schlimmer für sie.

Sie schreiben:

„Vor einigen russischen Revisionisten stand im Jahre 1900 die Frage: entweder mit unfruchtbarem Kräfteverschleiß in den Netzen des Bolschewismus und Menschewimus zu kämpfen oder wirklich politisch zu handeln und die Organisierung der mühsam geeinten [L] Elemente der bürgerlichen Demokratie einzig in der Absicht politischen Hervortretens zu unterstützen.“ [M]

Auf der folgenden Seite schreiben Sie allerdings, dass man bürgerlichen Liberalismus aus dem Credo nur „um der Schmähung willen“ herauslesen könne; hier jedoch bestätigen Sie selbst, dass die Autoren des Credo gerade dadurch und nur dadurch „wirklich politisch“ gehandelt hätten. Nun – der Herr sei mit Ihnen. Aber weshalb verstümmeln Sie die Tatsachen, gnädige Frau? Sie lassen sich – auf das Jahr 1900 zurückdatiert – in die Netze des Bolschewismus und des Menschewismus verwickelt sein, was unmöglich ist, weil es damals weder Bolschewismus noch Menschewismus gab. Diese Fraktionen entstanden erst in der zweiten Hälfte des Jahres 1903, nach dem II. Parteikongress.

Frau Kuskowa berechnet die Kräfte unserer Partei; in ihrer Rechnung erscheint, dass im Jahre 1900 in Russland 63 aktive Sozialdemokraten gearbeitet hätten, im Jahre 1904 ihrer 207. Woher kommen diese erstaunlichen Zahlen? Bei Dan erfuhr Frau Kuskowa, dass die Partei im Jahre 1904 20 Komitees und 11 lokale Gruppen gezählt habe und dass in einem Komitee im Durchschnitt 5–6 Mitglieder gesessen seien; Frau Kuskowa ist unfähig, mit diesen Zahlen etwas anderes als eine simple Multiplikation vorzunehmen. (Das Komitee ist doch nur die Spitze der Organisation: Wohin haben Sie die sozialdemokratischen Arbeiterzirkel, die Schulungsleute, die Agitatoren, die Organisatoren, die Techniker gesteckt? Wohin, Verehrteste, haben Sie die Partei gesteckt?) Um ihre arithmetischen Kombinationen abzurunden, begeht Frau Kuskowa eine kleine Fälschung. Nachdem Dan beiläufig erwähnt hat, ein Komitee bestehe durchschnittlich aus 5–6 Leuten, erläutert er, dass es unterhalb dieses Komitees noch eine komplizierte Organisation gebe; weiter weist er darauf hin, es hätten neben 39 Komitees 1904 noch „11 lokale Organisationen“ bestanden, „denen es noch nicht geglückt ist, so enge Bande zu knüpfen und den unmittelbaren Fortgang der Arbeit so zu garantieren, dass sie sich in Komitees hätten verwandeln können.“ Ihrer Multiplikation legt Frau Kuskowa die „Spekulation“ zugrunde, dass die Gruppen vermutlich halb soviel Mitglieder besäßen wie die Komitees. Wieso das? Aus Dans Worten ist klar ersichtlich, dass keineswegs die Differenz in der Mitgliederzahl (drei oder sechs) eine Gruppe von einem Komitee unterscheidet. Der Gewissenhaftigkeit halber, Frau Kuskowa, müsste man aber auch die Gruppen berechnen; die Aufmerksamkeit auf den wirklichen Unterschied zwischen Gruppen und Komitees zu richten hieße die ganze Berechnung ihres Sinns berauben. Sozusagen der Sorgfalt in ihrer Rechnung zuliebe greift Frau Kuskowa hier zu einer kleinen Spekulation.

Zu Beginn ihres Artikels erwähnt Frau Kuskowa, „die Sozialdemokratie habe in der Bewegung der Jahre 1905 bis 1906 eine bedeutende Rolle gespielt“. Welche Sozialdemokratie? Für 1904 erhielten Sie doch als Ergebnis ihrer fehlerlosen Multiplikation ganze 207 Sozialdemokraten! Wie könnten die in der revolutionären Bewegung der folgenden beiden Jahre eine bedeutende Rolle gespielt haben?

Allerdings habe ich nicht den Vorsatz, allen statistischen und chronologischen „Sensationen“ von Frau Kuskowa nachzuspüren – das wäre niemandem nütze und nur ermüdend. Ihre „kritische“ Methode ist aus den Proben, die wir streifen mussten, hinreichend klar geworden.

Frau Kuskowa schreibt in letzter Zeit viel über uns Sozialdemokraten, und sie tut das nicht anders als in Verbindung mit mitleidigen Grimassen wegen unserer Dummheit. Man könnte meinen, ihr seien neue Horizonte eröffnet worden. In der Tat – wenn wir ihre Artikel lesen, in denen sie erläutert, wie sie „mühsam geeinte“ Elemente vereinigte und wie daraus buchstäblich nichts herauskam, dann beginnt man zu begreifen, dass Politik wie Publizistik mühsame Angelegenheiten sind, und man erinnert sich zu guter Letzt unwillkürlich der Madame de Kurdjukow, die sich über ihre politischen Spekulationen folgendermaßen ausließ:

„Was die Politik scheidet
fügt die Dame zusammen:
Münster und Osnabrück
brachte ich in ein und denselben Sack.“

Ja, Frau Kuskowa stopft „mühsam geeinte“ Elemente zu dicht „in ein und denselben Sack“. Ihre Missgeschicke ergeben sich unmittelbar daraus.

* * *

Anmerkungen

J. Byloe, Nr. 10, str. 320.

K. „notwendige, aber nicht greifbare ...“ Wir halten es hier für angebracht, uns ganz allgemein für den schlechten Stil von Frau Kuskowa zu entschuldigen.

L. Was ist das: geeint? Und wieso mühsam geeint?

M. str. 325.


Zuletzt aktualiziert am 14. November 2024