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Was soll es vor allem bedeuten, daß die Verringerung des Anteils der Arbeiter „sofort“ Überproduktion und Handelskrisen hervorrufen müsse? Diese Auffassung wird nur begreiflich, wenn man voraussetzt, daß Rodbertus sich das „Nationalprodukt“ aus zwei Teilen bestehend vorstellt, aus dem Anteil der Arbeiter und dem Anteil der Kapitalisten, also v + m, wobei sich etwa der eine Teil gegen den anderen austauscht. In der Tat spricht Rodbertus stellenweise beinahe in diesem Sinne, so, wenn er im Ersten socialen Briefe sagt: „Die Armut der arbeitenden Klassen läßt niemals zu, daß ihr Einkommen ein Bett für die anschwellende Produktion abgebe. Das Übermaß von Produkten. das in den Händen der Arbeiter nicht bloß deren Lage verbessern, sondern zugleich ein Gewicht abgeben würde, um den Wert des bei den Unternehmern verbleibenden Restes zu steigern und diesen damit die Bedingung der Fortsetzung ihrer Betriebe in dem bisherigen Umfange zu gewähren, drückt auf seiten der Unternehmer den Wert des ganzen Produkts so tief, daß jene Bedingung verschwindet, und überläßt im besten Falle die Arbeiter ihrem gewohnten Mangel.“ (1) Das „Gewicht“, das in den Händen der Arbeiter „den Wert“ des bei den Unternehmern „verbleibenden Restes“ steigert, kann hier nur Nachfrage bedeuten. Damit wären wir glücklich angelangt in dem famosen „Ort“ v. Kirchmanns, wo die Arbeiter mit den Kapitalisten einen Austausch ihrer Löhne gegen das Mehrprodukt ausführen und wo die Krisen deshalb entstehen, weil das variable Kapital klein und der Mehrwert groß ist. Diese seltsame Vorstellung ist schon oben besprochen worden. An anderen Stellen gibt jedoch Rodbertus eine abweichende Auffassung zum besten. Im Vierten socialen Brief deutet er seine Theorie so, daß die ständige Verschiebung im Verhältnis der Nachfrage, die durch den Anteil der Arbeiterklasse dargestellt, und derjenigen, die durch den Anteil der Kapitalistenklasse bewirkt wird, eine chronische Disproportion zwischen Produktion und Konsumtion hervorrufen müsse: „Aber wie, wenn sich nun die Unternehmer zwar immerfort in den Grenzen jener Anteile zu halten suchen, aber diese Anteile selbst sich bei der großen Mehrzahl der Gesellschaft, den Arbeitern, nach und nach mit unvermerkter, aber unwiderstehlicher Gewalt immerfort verkleinerten? Wenn sie sich bei diesen Klassen immerfort in demselben Maße verkleinerten, als sich deren Produktivität vergrößerte?“ „Ob deshalb nicht die Kapitalisten, während sie nur nach der bisherigen Große der Anteile die Produktion einrichten und einrichten mußten, um den Reichtum allgemein zu machen, dennoch immerfort über die bisherigen Anteile hinaus produzieren und also eine stete Nichtbefriedigung, die sich zu einer Absatzstockung ... steigert, veranlassen?“ (2)
Demnach haben wir uns die Krisen folgendermaßen zu erklären: Das Nationalprodukt besteht aus einer Anzahl „ordinärer Waren“, wie v. Kirchmann sagt, für die Arbeiter und feinerer Waren für die Kapitalisten. Die Menge jener wird durch die Summe der Löhne, dieser durch den Gesamtmehrwert dargestellt. Richten sich die Kapitalisten bei ihrer Produktion danach ein und schreitet dabei die Produktivität fort, so muß sich schon im nächsten Augenblick ein Mißverhältnis herausstellen. Denn der Anteil der Arbeiter von heute ist nicht mehr der von gestern, sondern geringer; bildete gestern die Nachfrage nach „ordinären Waren“, sagen wir, sechs Siebentel des Nationalprodukts, so bildet sie heute nur noch fünf Siebentel, und die Unternehmer, die sich auf sechs Siebentel „ordinärer Waren“ eingerichtet haben, werden zu ihrer schmerzlichen Überraschung konstatieren müssen, daß sie um ein Siebentel deren zuviel hergestellt haben. Wollen sie aber, durch diese Erfahrung gewitzigt, morgen ihre Produktion so einrichten, daß sie nur fünf Siebentel des gesamten Wertes des Nationalprodukts in ordinären Waren herstellen, so laufen sie damit nur einer neuen Enttäuschung in die Arme, denn übermorgen wird der Lohnanteil am Nationalprodukt sicher nur noch vier Siebentel darstellen usw.
Diese originelle Theorie ruft sofort eine Menge gelinder Zweifel wach. Wenn unsere Handelskrisen lediglich daher rühren, daß die „Lohnquote“ der Arbeiterklasse, das variable Kapital, einen immer geringeren Teil des Gesamtwerts des Nationalprodukts ausmacht, dann birgt ja das fatale Gesetz in sich selbst auch die Heilung des von ihm angerichteten Übels, da doch die Überproduktion einen immer geringeren Teil des Gesamtprodukts betrifft. Rodbertus liebt zwar die Ausdrücke von „übergroßer Mehrzahl“ der Konsumenten, von der „großen Volksmasse“ der Konsumenten, deren Anteil immer mehr sinke, doch kommt es nicht auf die Zahl der Kopfe bei der Nachfrage an, sondern auf den durch sie dargestellten Wert. Und dieser Wert bildet nach Rodbertus selbst einen immer geringfügigeren Teil des Gesamtprodukts. Die ökonomische Basis der Krisen wird damit immer schmaler, und es bleibt nur die Frage, wie es kommt, daß die Krisen trotzdem, wie Rodbertus feststellt, erstens allgemein und zweitens immer heftiger sind. Bildet ferner die „Lohnquote“ den einen Teil des Nationalprodukts, so der Mehrwert, nach Rodbertus, den anderen. Was an Kaufkraft der Arbeiterklasse abgeht, wächst als Kaufkraft der Kapitalistenklasse an, wird v immer geringer, so m dafür immer größer. Nach dem eigenen kruden Schema von Rodberrus kann dadurch im ganzen die Kaufkraft der Gesellschaft nicht alteriert werden. Sagt er doch selbst: „Ich weiß wohl, daß schließlich dasjenige, um welches der Anteil der Arbeiter fällt, den Anteilen der Rentenbezieher (bei Rodbertus „Rente“ gleich Mehrwert – R.L.) zuwächst, daß also auf die Dauer und im ganzen die Kaufkraft sich gleichbleibt. Aber in bezug auf das zu Markt gebrachte Produkt ist schon immer die Krisis erfolgt, ehe jener Zuwachs sich geltend machen kann.“ (3) Es kann sich also höchstens darum handeln, daß in demselben Maße wie in „ordinären Waren“ ständig ein Zuviel, in feineren Waren für die Kapitalisten ständig ein Zuwenig sich herausstellt. Rodbertus kommt hier unversehens auf eigentümlichen Pfaden zu der von ihm so hitzig bekämpften Theorie Say-Ricardos: der Überproduktion auf der einen Seite entspräche stets die Unterproduktion auf der anderen. Und da die Wertanteile der Arbeiterklasse und der Kapitalisten sich ständig zuungunsten der ersteren verschieben, so würden unsere Handelskrisen im ganzen immer mehr den Charakter von periodischer Unterproduktion an Stelle von Überproduktion annehmen! Doch lassen wir diese Rätsel. Was aus alledem einleuchtet, ist, daß Rodbertus sich das Nationalprodukt dem Werte nach als lediglich zusammengesetzt aus zwei Teilen, aus v und m, denkt, darin also ganz die Auffassung und Überlieferung der klassischen Schule teilt, die er mit solcher Erbitterung bekämpft, verschönert noch um die Vorstellung. daß der ganze Mehrwert von den Kapitalisten konsumiert wird. Er spricht dies an mehreren Stellen mit dürren Worten aus, so im Vierten socialen Brief: „Demgemäß muß man gerade, um zuvörderst das Prinzip der Rente (des Mehrwerts – R.L.) überhaupt, das Prinzip der Teilung des Arbeitsprodukts in Lohn und Rente, zu finden, von den Gründen abstrahieren, welche die Scheidung der Rente überhaupt in Grundrente und Kapitalrente veranlassen.“ (4) Und im Dritten [socialen] Brief: „Grundrente, Kapitalgewinn und Arbeitslohn, wiederhole ich, sind Einkommen. Grundbesitzer, Kapitalisten und Arbeiter wollen davon leben, d. h. ihre unmittelbaren menschlichen Bedürfnisse damit befriedigen. Die Güter, die im Einkommen bezogen werden, müssen also dazu brauchbar sein.“ (5) Krasser ist die Verfälschung der kapitalistischen Wirtschaft in eine nur für die Zwecke der direkten Konsumtion bestimmte Produktion nirgends formuliert worden, und darin hat Rodbertus unzweifelhaft die Palme der „ Priorität“ – nicht sowohl vor Marx wie vor allen Vulgärökonomen. Um ja keinen Zweifel über diese seine Konfusion bei dem Leser zu lassen, stellt er in demselben Briefe etwas weiter den kapitalistischen Mehrwert als ökonomische Kategorie direkt mit dem Einkommen des antiken Sklavenhalters in eine Reihe: „Mit dem ersten Zustand (der Sklaverei – R.L.) ist die einfachste Naturalwirtschaft verbunden; es wird der Teil des Arbeitsprodukts, der dem Einkommen der Arbeiter oder Sklaven entzogen ist und das Eigentum des Herrn oder Besitzers ausmacht, ungeteilt als eine Rente dem einen Grund-, Kapital-, Arbeiter- und Arbeitsproduktbesitzer zufallen; es werden selbst nicht dem Begriffe nach Grundrente und Kapitalgewinn zu unterscheiden sein. – Mit dem zweiten Zustande ist die komplizierteste Geldwirtschaft gegeben; es wird der Teil des Arbeitsprodukts, der dem Einkommen jetzt der freien Arbeiter entzogen ist und auf den Grund- und Kapitalbesitz fällt, sich zwischen den Besitzern des Rohprodukts uni den Besitzern des Fabrikationsprodukts weiter teilen; es wird endlich die eine Rente des früheren Zustandes in Grundrente und Kapitalgewinn auseinanderfallen und zu scheiden sein.“ (6) Den hervorstechendsten ökonomischen Unterschied zwischen der Ausbeutung unter der Herrschaft der Sklaverei und der modernen kapitalistischen Ausbeutung erblickt Rodbertus – in der Spaltung des „dem Einkommen“ der Arbeiter „entzogenen“ Mehrwerts in Grundrente und Kapitalgewinn. Nicht die spezifische historische Form der Teilung des Mehrwerts zwischen Arbeit und Kapital, sondern die für den Produktionsprozeß gleichgültige Teilung des Mehrwerts unter seine verschiedenen Nutznießer ist die entscheidende Tatsache der kapitalistischen Produktionsweise! Sonst bleibt der kapitalistische Mehrwert als Ganzes dasselbe, was „die eine Rente“ des Sklavenhalters war: ein privater Konsumtionsfonds des Ausbeuters!
Freilich widerspricht sich Rodbertus auch wieder an anderen Stellen und erinnert sich an das konstante Kapital sowie die Notwendigkeit seiner Erneuerung im Reproduktionsprozeß. Er nimmt also statt der Zweiteilung des Gesamtprodukts in v + m die Dreiteilung in c + v + m an. In seinem Dritten [socialen] Brief führt er über die Reproduktionsformen der Sklavenwirtschaft aus: „Weil der Herr darauf halten wird, daß ein Teil der Sklavenarbeit darauf verwandt werde, die Felder, Herden und Werkzeuge in der Landwirtschaft und Fabrikation in gleichem Zustande zu erhalten oder auch zu verbessern, so wird das, was heute ‚Kapitalersatz‘ genannt wird, sich so vollziehen, daß ein Teil des nationalen Produkts der Wirtschaft immer gleich unmittelbar und ohne Dazwischenkunft des Tausches und selbst des Tauschwerts zur Instandhaltung des Vermögens verwandt wird.“ (7) Und zur kapitalistischen Reproduktion übergehend: „Es wird also jetzt ein Wertteil des Arbeitsprodukts zur Instandhaltung des Vermögens oder als ‚Kapitalersatz‘ verwandt oder berechnet; es wird ein Wertteil des Arbeitsprodukts in dem Geldlohn der Arbeiter zum Unterhalt derselben verwandt, und es bleibt endlich ein Wertteil desselben in den Händen der Grund-, Kapital- und Arbeitsproduktbesitzer als deren Einkommen oder als Rente zurück.“ (8)
Hier haben wir ausdrücklich die Dreiteilung in konstantes Kapital, variables Kapital und Mehrwert, und ebenso formuliert er nochmals ausdrücklich in diesem Dritten [socialen] Brief als Eigentümlichkeit seiner „neuen“ Theorie. „Nachdem also diese Theorie, bei hinreichender Produktivität der Arbeit, denjenigen Teil des Produktwerts, der vom Kapitalersatz zum Einkommen übrigbleibt, infolge des Grund- und Kapitaleigentums unter Arbeiter und Besitzer als Lohn und Rente hat sich teilen lassen“ usw. (9) Rodbertus hat hier anscheinend einen entschiedenen Schritt in der Wertanalyse des Gesamtprodukts über die klassische Schule hinaus gemacht, ja, er kritisiert etwas weiter direkt das „Dogma“ von Smith, und es bleibt nur, sich zu wundern, daß die gelehrten Bewunderer Rodbertus’, die Herren Wagner, Dietzel, Diehl u. Co., verabsäumt haben, die „ Priorität“ ihres Lieblings vor Marx in einem so wichtigen Punkte der ökonomischen Theorie mir Beschlag zu belegen. – In Wirklichkeit sieht es mit der Priorität hier genauso windig aus wie in der Werttheorie überhaupt. Auch dort, wo Rodbertus anscheinend zu einer richtigen Einsicht gelangt, stellt sich dies im nächsten Augenblick als ein Mißverständnis oder mindestens eine Schiefheit heraus. Wie wenig Rodbertus tatsächlich mit der Dreiteilung des Nationalprodukts anzufangen wußte, zu der er sich vorwärtsgetastet hatte, beweist gerade am besten seine Kritik an dem Smithschen Dogma, die wörtlich so lautet: „Sie wissen, daß alle Nationalökonomen schon seit Ad. Smith den Wert des Produkts in Arbeitslohn, Grundrente und Kapitalgewinn zerfallen lassen und daß also die Idee, das Einkommen der verschiedenen Klassen und namentlich auch die Rententeile auf eine Teilung des Produkts zu gründen, nicht neu ist. Allein sofort geraten die Nationalökonomen auf Abwege. Alle – selbst nicht mit Ausnahme der Ricardoschen Schule – begehen zuvörderst den Fehler, nicht das ganze Produkt, das vollendete Gut, das ganze Nationalprodukt als Einheit aufzufassen, an der Arbeiter, Grundbesitzer und Kapitalisten partizipieren, sondern die Teilung des Rohprodukts als eine besondere Teilung, an der drei Teilnehmer, und die Teilung des Fabrikationsprodukts wieder als eine besondere Teilung aufzufassen, an der nur zwei Teilnehmer partizipieren. So sehen diese Systeme schon das bloße Rohprodukt und das bloße Fabrikationsprodukt jedes für sich als ein besonderes Einkommensgut an. – Sie begehen dann zweitens – hier indessen mit Ausnahme Ricardos und auch Smith’ – den Fehler, daß sie die natürliche Tatsache, daß die Arbeit ohne Mitwirkung der Materie, also ohne den Boden, kein Gut produzieren kann, für eine wirtschaftliche und die gesellschaftliche Tatsache, daß in Teilung der Arbeit das Kapital im heutigen Sinne dazu gebraucht wird, für eine ursprüngliche halten. So fingieren sie ein wirtschaftliches Grundverhältnis, auf welches sie, bei dem geteilten Besitz des Bodens, des Kapitals und der Arbeit in der Gesellschaft, auch die Anteile dieser verschiedenen Besitzer in der Weise zurückführen, daß die Grundrente aus der Mitwirkung des Bodens, den der Grundbesitzer zur Produktion hergebe, der Kapitalgewinn aus der Mitwirkung des Kapitals, das der Kapitalist dazu verwende, und der Lohn endlich aus der Mitwirkung der Arbeit entspringe. Die Saysche Schule, welche diesen Irrtum am feinsten ausgesponnen hat, schafft sich sogar den Begriff eines dem Produktanteil jener verschiedenen Besitzer entsprechenden Produktivdienstes des Bodens, des Kapitals und der Arbeit, um aus solchem Produktivdienst wieder den Produktanteil zu erklären. – Hieran schließt sich endlich drittens sogar die Ungereimtheit, daß, während doch Arbeitslohn und Rententeile aus dem Werte des Produkts abgeleitet werden, doch wieder der Wert des Produkts aus Arbeitslohn und Rententeilen abgeleitet und so wechselseitig das eine auf das andere basiert wird. Bei manchen tritt diese Ungereimtheit so zutage, daß in zwei unmittelbar aufeinanderfolgenden Kapiteln Der Einfluß der Renten auf die Produktionspreise und Der Einfluß der Produktionspreise auf die Renten zu setzen gesucht wird.“ (10)
Bei diesen ausgezeichneten kritischen Bemerkungen, deren letzte namentlich fein ist und in gewissem Sinne die betreffende Kritik im zweiten Bande des Marxschen Kapitals vorwegnimmt, akzeptiert Rodbertus ruhig den Hauptschnitzer der klassischen Schule und ihrer vulgären Nachtreter: die völlige Vernachlässigung des Wertteils des Gesamtprodukts, der zum Ersatz des konstanten Kapitals der Gesellschaft notwendig ist. Diese Konfusion war es denn auch, die ihm erleichterte, sich in seinen wunderlichen Kampf gegen die „fallende Lohnquote“ zu verbeißen.
Der Wert des gesellschaftlichen Gesamtprodukts zerfällt unter kapitalistischen Produktionsformen in drei Teile, von denen der eine dem Wert des konstanten Kapitals, der andere der Lohnsumme, d. h. dem variablen Kapital und der dritte dem Gesamtmehrwert der Kapitalistenklasse entspricht. Nun wird innerhalb dieser Wertzusammensetzung der dem variablen Kapital entsprechende Wertteil relativ immer geringer, und das aus zwei Gründen. Erstens verschiebt sich innerhalb c + v + m das Verhältnis von c zu (v + m), d. h. des konstanten Kapitals zum Neuwert, in der Richtung, daß c relativ immer größer, (v + m) immer kleiner wird. Dies ist ein einfacher Ausdruck der steigenden Produktivität der menschlichen Arbeit, der absolute Geltung hat für alle ökonomisch fortschreitenden Gesellschaften, unabhängig von ihren historischen Formen, und der nur bedeutet, daß die lebendige Arbeit imstande wird, immer mehr Produktionsmittel in immer kürzerer Zeit zu Gebrauchsgegenständen zu verarbeiten. Da (v + m) im Verhältnis zum Gesamtwert des Produkts sinkt, so sinkt damit auch v als Wertteil des Gesamtprodukts. Sich dagegen sträuben, diesem Sinken Einhalt tun wollen heißt mit anderen Worten, sich dem Fortschritt der Produktivität der Arbeit in seinen allgemeinen Wirkungen widersetzen. Sodann tritt auch innerhalb (v + m) eine Verschiebung ein in der Richtung, daß v relativ immer kleiner, m relativ immer größer wird, d. h. daß von dem geschaffenen Neuwert ein immer kleinerer Teil auf Löhne entfällt, ein immer größerer als Mehrwert angeeignet wird. Dies ist der spezifisch kapitalistische Ausdruck der fortschreitenden Produktivität der Arbeit, der aber innerhalb der kapitalistischen Bedingungen der Produktion ebenso absolute Geltung hat wie jenes erste Gesetz. Durch staatliche Mittel nun verbieten wollen, daß v immer geringer im Verhältnis zu m wird, heißt verbieten wollen, daß sich die fortschreitende Produktivität der Arbeit, die die Herstellungskosten aller Waren verringert, auch auf die grundlegende Ware Arbeitskraft beziehe, heißt diese eine Ware von den ökonomischen Wirkungen der technischen Fortschritte ausnehmen wollen. Aber noch mehr: Die „fallende Lohnquote“ ist nur ein anderer Ausdruck für steigende Mehrwertrate, die das stärkste und wirksamste Mittel darstellt, den Fall der Profitrate aufzuhalten, und deshalb das treibende Motiv der kapitalistischen Produktion überhaupt wie namentlich des technischen Fortschritts innerhalb dieser Produktion darstellt. Die „fallende Lohnquote“ auf dem Wege der Gesetzgebung beseitigen heißt also soviel, wie das Existenzmotiv der kapitalistischen Wirtschaft ausschalten, ihr Lebensprinzip unterbinden wollen. Man stelle sich aber die Sache konkret vor. Der einzelne Kapitalist wie die kapitalistische Gesellschaft im ganzen kennt ja überhaupt den Wert der Produkte als eine Summe gesellschaftlich notwendiger Arbeit nicht und ist gar nicht imstande, ihn so zu fassen. Der Kapitalist kennt ihn nur in der abgeleiteten und durch die Konkurrenz auf den Kopf gestellten Form der Produktionskosten. Während der Wert des Produkts in die Wertteile c + v + m zerfällt, setzen sich die Produktionskosten im Bewußtsein des Kapitalisten umgekehrt aus c + v + m zusammen Und zwar stellen sich ihm auch diese in der verschobenen und abgeleiteten Form dar 1. als Verschleiß seines fixen Kapitals, 2. als seine Auslagen an zirkulierendem Kapital einschließlich der Auslagen für Löhne der Arbeiter, 3. als die „übliche“, d. h. durchschnittliche Profitrate auf sein gesamtes Kapital. Wie soll nun der Kapitalist, sagen wir, durch ein Gesetz im Rodbertusschen Sinne gezwungen, eine „feste Lohnquote“ gegenüber dem gesamten Produktwert einhalten? Der Einfall ist genauso geistreich, wie wenn man durch Gesetz fixieren wollte, bei der Herstellung aller Waren dürfe der Rohstoff nie mehr oder weniger als ein Drittel des Gesamtpreises der Waren ausmachen. Es ist klar, daß die Hauptidee Rodbertus’, auf die er stolz war und baute wie auf eine neue archimedische Entdeckung und mit der er die kapitalistische Produktion radikal kurieren wollte, von allen Standpunkten der kapitalistischen Produktionsweise ein barer, blühender Unsinn ist, zu dem man aber auch nur aus jener Konfusion über die Werttheorie heraus gelangen konnte, die bei Rodbertus in dem unvergleichlichen Satze kulminiert, „das Produkt müsse jetzt (in der kapitalistischen Gesellschaft – R.L.) so Tauschwert haben, wie es in der antiken Wirtschaft Gebrauchswert haben mußte“. (11) In der antiken Gesellschaft mußten Brot und Fleisch gegessen werden, damit man von ihnen leben konnte, jetzt aber wird man schon satt, wenn man den Preis von Fleisch und Brot weiß! Was jedoch am deutlichsten aus der fixen Idee der „fixen Lohnquote“ bei Rodbertus herausschaut, ist seine völlige Unfähigkeit, die kapitalistische Akkumulation zu begreifen.
Man hat schon aus den früheren Zitaten entnehmen können, daß er, im Einklang mit der verkehrten Vorstellung, der Zweck der kapitalistischen Produktion sei die Herstellung von Konsumgegenständen zur Befriedigung „menschlicher Bedürfnisse“, ausschließlich die einfache Reproduktion im Auge hat. Spricht er doch immer nur vom „Ersatz des Kapitals“ und von der Notwendigkeit, die Kapitalisten zu befähigen, „ihre Betriebe in dem bisherigen Umfange“ fortzusetzen. Seine Hauptidee wendet sich aber direkt gegen die Akkumulation des Kapitals. Die Mehrwertrate fixieren, ihr Wachstum verhindern heißt die Akkumulation des Kapitals lahmlegen. In der Tat war für Sismondi wie für v. Kirchmann die Frage des Gleichgewichts zwischen Produktion und Konsumtion eine Frage der Akkumulation, d. h. der erweiterten kapitalistischen Reproduktion. Beide leiteten die Störungen in dem Gleichgewicht der Reproduktion von der Akkumulation her, deren Möglichkeit beide verneinten. Nur daß der eine als Mittel dagegen die Dämpfung der Produktivkräfte überhaupt, während der andere ihre steigende Verwendung in der Luxusproduktion, das restlose Verzehren des Mehrwerts empfahl. Rodbertus geht auch hier seine eigenen Wege. Während jene mit mehr oder weniger Erfolg die Erscheinung der kapitalistischen Akkumulation zu fassen suchten, kämpft Rodbertus gegen den Begriff.
„Die Nationalökonomen haben seit A. Smith einander nachgesprochen und es als allgemeine und absolute Wahrheit aufgestellt, daß das Kapital nur durch Sparen und Ansammeln entstehe.“ (12) Gegen diese „Verirrung“ zieht nun Rodbertus wohlgerüstet zu Felde, und er weist auf 60 Druckseiten haarklein nach, daß Kapital nicht durch Sparen, sondern durch Arbeit entsteht, daß der „Irrtum“ der Nationalökonomen in bezug auf das „Sparen“ daher rühre, weil sie die irrtümliche Auffassung hätten, die Produktivität hafte dem Kapital an, dieser Irrtum endlich von einem anderen Irrtum: daß Kapital – Kapital sei.
v. Kirchmann seinerseits verstand sehr gut, was hinter dem kapitalistischen „Sparen“ steckt. Er führt ganz hübsch aus: „Kapitalansammlung besteht bekanntlich nicht in dem bloßen Anhäufen von Vorräten oder in dem Sammeln von Metall- und Geldvorräten, die dann in den Kellern des Eigentümers ungenützt liegenbleiben, sondern wer sparen will, tut es, um selbst oder durch andere seine ersparte Summe als Kapital wieder nutzbar anzuwenden, um davon Revenuen zu ziehen. Diese Revenuen sind nur möglich, wenn diese Kapitale zu neuen Unternehmungen verwendet werden, die durch ihre Produkte imstande sind, jene verlangten Zinsen abzuwerfen. Der eine baut ein Schiff, der andere baut eine Scheune, der dritte kultiviert damit eine öde Heide, der vierte läßt sich eine neue Spinnmaschine kommen, der fünfte kauft mehr Leder und nimmt mehr Gesellen an, um seine Schuhmacherprofession zu erweitern usw. Erst in dieser Anwendung kann das gesparte Kapital Zinsen (soll heißen: Profit – R.L.) tragen, was der Endzweck alles Sparens ist.“ (13) Was v. Kirchmann hier mit unbeholfenen Worten, aber im ganzen richtig schildert, ist nichts anderes als der Prozeß der Kapitalisierung des Mehrwerts, der kapitalistischen Akkumulation, die ja den ganzen Sinn des von der klassischen Ökonomie „seit A. Smith“ mit richtigem Instinkt befürworteten „Sparens“ ausmacht. v. Kirchmann ist denn von seinem Standpunkt ganz konsequent, wenn er, da nach seiner Auffassung – wie bei Sismondi – die Krisen sich direkt aus der Akkumulation ergeben, gegen die Akkumulation, gegen das „Sparen“ zu Felde zieht. Rodbertus ist auch hier der „gründlichere“ Mann. Er hat zu seinem Unglück aus der Ricardoschen Werttheorie die Einsicht gewonnen, daß Arbeit die einzige Quelle des Werts, also auch des Kapitals ist. Und diese elementare Weisheit genügt ihm vollständig, um ihn für alle komplizierten Verhältnisse der Kapitalproduktion und der Kapitalbewegungen völlig blind zu machen. Da Kapital durch Arbeit entsteht, so ist Kapitalakkumulation, d. h. „Sparen“, Kapitalisierung des Mehrwertes – bloßer Humbug.
Um diesen verworrenen Knäuel von Irrtümern „der Nationalökonomen seit A. Smith“ zu entwirren, nimmt er sich, wie sich von selbst versteht, einen „isolierten Wert“ vor und weist in einer langen Vivisektion an dem unglücklichen Wurm alles nach, was er braucht. So findet er hier schon das „Kapital“, d. h. natürlich den berühmten „ersten Stock“, womit die Nationalökonomie „seit A. Smith“ die Früchte ihrer Kapitaltheorie vom Baume der Erkenntnis schlägt. Entsteht der Stock etwa aus „Sparen“? fragt Rodbertus. Und da jeder normale Mensch versteht, daß aus „Sparen“ kein Stock entstehen kann, sondern daß sich Robinson den Stock aus Holz verfertigen muß, so ist auch schon bewiesen, daß die „Spartheorie“ ganz falsch sei. Weiter: Der „isolierte Wert“ schlägt sich mit dem Stock eine Frucht vom Baume, diese Frucht ist sein „Einkommen“. „Wenn Kapital die Quelle von Einkommen wäre, so müßte sich dies Verhältnis schon an diesem ursprünglichen und einfachsten Vorgange nachweisen lassen. Aber kann man, ohne den Dingen und Begriffen Gewalt anzutun, den Stecken die Quelle des Einkommens oder eines Teils des Einkommens nennen, das in der herabgeschlagenen Frucht besteht, dieses Einkommen ganz oder zum Teil auf den Stecken als seine Ursache zurückführen. ganz oder zum Teil als Produkt des Steckens betrachten?“ (14) Sicher nicht. Und da die Frucht das Produkt nicht „des Steckens“, womit sie abgeschlagen, sondern des Baumes, auf dem sie gewachsen, so hat Rodbertus auch schon bewiesen, daß alle Nationalökonomen „seit A. Smith“ sich gründlich irrten, wenn sie behaupteten. das Einkommen rühre vom Kapital her. Nachdem so an der „Wirtschaft“ Robinsons alle Grundbegriffe der Nationalökonomie klargelegt sind, überträgt Rodbertus die so gewonnene Erkenntnis zuerst auf eine fingierte Gesellschaft „ohne Kapital- und Grundeigentum“, d. h. mit kommunistischem Besitz, sodann auf die Gesellschaft „mit Kapital- und Grundeigentum“, d. h. auf die heutige Gesellschaft – und siehe da: Alle Gesetze der Robinsonwirtschaft bewähren sich Punkt für Punkt auch in diesen beiden Gesellschaftsformen. Hier stellt Rodbertus eine Theorie vom Kapital und Einkommen auf, die seiner utopischen Phantasie die Krone aufsetzt. Da er entdeckt hat, daß bei Robinson „das Kapital“ schlicht und einfach die Produktionsmittel sind, so identifiziert er auch in der kapitalistischen Wirtschaft Kapital mit Produktionsmitteln, und hat er so das Kapital mit einer Handbewegung auf konstantes Kapital reduziert, so protestiert er im Namen der Gerechtigkeit und der Moral dagegen, daß die Existenzmittel der Arbeiter, ihre Löhne, auch als Kapital betrachtet werden. Gegen den Begriff des variablen Kapitals kämpft er hitzig, denn dieser Begriff sei an allem Unheil schuld! „Möchten doch die Nationalökonomen“, fleht er, „mir hier Aufmerksamkeit schenken und unbefangen prüfen, ob sie oder ich recht haben! Hier liegt der Knotenpunkt aller Irrtümer des herrschenden Systems über das Kapital, hier der letzte Grund der theoretischen wie praktischen Ungerechtigkeit gegen die arbeitenden Klassen.“ (15) Die „Gerechtigkeit“ fordert nämlich, daß man die „realen Lohngüter“ der Arbeiter nicht zum Kapital, sondern zur Kategorie Einkommen rechne. Rodbertus weiß zwar sehr wohl, daß für den Kapitalisten die von ihm „vorgestreckten“ Löhne ein Teil seines Kapitals sind, ganz so wie der andere in toten Produktionsmitteln vorgestreckte Teil. Allein das bezieht sich nach Rodbertus nur auf das Einzelkapital. Sobald er das gesellschaftliche Gesamtprodukt und die Gesamtreproduktion ins Auge faßt, erklärt er die kapitalistischen Kategorien der Produktion für ein Trugbild, eine boshafte Lüge und eine „Ungerechtigkeit“. „Etwas ganz anderes als das Kapital an sich, die Kapitalgegenstände, das Kapital vom Standpunkt der Nation, ist das Privatkapital, das Kapitalvermögen, das Kapitaleigentum, das, was gewöhnlich heute unter ‚Kapital‘ verstanden wird.“ (16) Die Einzelkapitalisten produzieren kapitalistisch, die Gesamtgesellschaft aber genauso wie Robinson, d. h. als ein Gesamteigentümer, kommunistisch: „Daß jetzt das gesamte Nationalprodukt auf allen verschiedenen Produktionsstufen zu größeren oder kleineren Teilen einzelnen Privatpersonen, die zu den eigentlichen Produzenten gar nicht zu rechnen sind, zu eigen gehört, daß die eigentlichen Produzenten dies ganze Nationalprodukt immerfort nur im Dienste dieser wenigen Eigentümer herstellen ohne Miteigentümer an ihrem eigenen Produkt zu sein, macht von diesem allgemeinen und nationalen Standpunkt aus keinen Unterschied.“ Freilich ergeben sich daraus gewisse Besonderheiten der Verhältnisse auch für die Gesellschaft im ganzen, nämlich erstens „der Tausch“ als Vermittler und zweitens die ungleiche Verteilung des Produkts. „Allein sowenig alle diese Wirkungen verhindern, daß nach wie vor die Bewegung der Nationalproduktion und die Gestaltung des Nationalprodukts im allgemeinen dieselbe bleibt (wie unter der Herrschaft des Kommunismus), sowenig alterieren sie auch vom nationalen Standpunkt aus in irgendeiner Beziehung den bisher aufgestellten Gegensatz von Kapital und Einkommen.“ Sismondi mühte sich gleich Smith und vielen anderen im Schweiße seines Angesichts ab, um den Begriff von Kapital und Einkommen aus den Widersprüchen der kapitalistischen Produktion zu entwirren; Rodbertus macht sich die Sache leichter: er sieht für die Gesellschaft im ganzen von allen Formbestimmtheiten der kapitalistischen Produktion einfach ab und nennt „Kapital“ die Produktionsmittel und „Einkommen“ die Konsumtionsmittel – basta! „Das Grund- und Kapitaleigentum hat nur in bezug auf die verkehrenden Individuen einen wesentlichen Einfluß. Faßt man also die Nation als eine Einheit auf, so verschwinden seine Wirkungen auf die Individuen.“ (17) Man sieht, Rodbertus zeigt, sobald er an das eigentliche Problem, an das kapitalistische Gesamtprodukt und seine Bewegung, herantritt, die typische Geringschätzung des Utopisten für historische Besonderheiten der Produktion, und auf ihn paßt wie angegossen die Bemerkung, die Marx über Proudhon macht, daß, sobald er von der Gesellschaft im ganzen spricht, er so tut, als ob sie aufhörte, kapitalistisch zu sein. [1*] Andererseits sieht man am Beispiel Rodbertus’ wieder, wie hilflos die gesamte Nationalökonomie vor Marx in ihren Bemühungen herumtappte, sachliche Gesichtspunkte des Arbeitsprozesses mit Wertstandpunkten der kapitalistischen Produktion, Bewegungsformen des Einzelkapitals mit denen des gesellschaftlichen Gesamtkapitals in Einklang zu bringen. Diese Bemühungen pendeln gewöhnlich zwischen zwei Extremen: der vulgären Auffassung à la Say, MacCulloch, für die überhaupt nur Gesichtspunkte des Einzelkapitals existieren, und der utopischen Auffassung à la Proudhon, Rodbertus, für die nur Standpunkte des Arbeitsprozesses existieren. Da lernt man erst schätzen, welches enorme Licht über die ganze Sache durch das Schema der einfachen Reproduktion von Marx verbreitet worden ist, wo alle jene Standpunkte in ihrem Einklang wie in ihrem Widerspruch zusammengefaßt und wo der heillose Wirrwarr zahlloser Bände in zwei Zahlenreihen von verblüffender Einfachheit aufgelöst ist.
Daß bei einer solchen Auffassung von Kapital und Einkommen die kapitalistische Aneignung unerklärlich wird, versteht sich von selbst. Rodbertus erklärt sie denn auch einfach für „Raub“ und verklagt sie vor dem Forum des Eigentumsrechts, dessen schnöde Verletzung sie darstelle. „Wenn also ... diese persönliche Freiheit (der Arbeiter), die rechtlich das Eigentum am Wert des Arbeitsprodukts involviert, infolge des vom Grund- und Kapitaleigentum über die Arbeiter geübten Zwanges in der Praxis wieder zur Entäußerung jenes Eigentumsanspruchs führt – so ist es, als ob eine instinktive Scheu, daß die Geschichte ihre strengen, unerbittlichen Syllogismen daraus ziehen könne, die Besitzer von dem Geständnis dieses großen und allgemeinen Unrechts abhielte.“ (18) „Daher ist endlich diese (Rodbertussche) Theorie in allen ihren Einzelheiten ein durchgängiger Beweis, daß jene Lobredner der heutigen Eigentumsverhältnisse, die sich doch wieder nicht entbrechen können, das Eigentum auf die Arbeit zu gründen, mit ihrem eigenen Prinzip im vollständigsten Widerspruch stehen. Sie beweist, daß die heutigen Eigentumsverhältnisse gerade auf einer allgemeinen Verletzung dieses Prinzips beruhen und daß jene großen individuellen Vermögen. die sich heute in der Gesellschaft anhäufen ..., mit jedem neugeborenen Arbeiter den schon von alters her sich in der Gesellschaft anhäufenden Raub vergrößern.“ (19) Und ist der Mehrwert so zum „Raub“ erklärt worden, so erscheint die steigende Mehrwertrate als „ein merkwürdiger Fehler in der heutigen nationalökonomischen Organisation“. (20) Proudhon hat in seinem ersten Pamphlet wenigstens den paradoxen und rohen, aber revolutionär klingenden Satz Brissots ausgesponnen: Eigentum ist Diebstahl. Rodbertus beweist, daß das Kapital ein Diebstahl am Eigentum sei. Man vergleiche damit im ersten Bande des Marxschen „Kapitals“ das Kapitel über den Umschlag der Eigentumsgesetze in Gesetze der kapitalistischen Aneignung, das ein Meisterstück historischer Dialektik bietet, und man wird wieder einmal die „Priorität“ Rodbertus’ konstatieren können. Jedenfalls hat sich Rodbertus durch seine Deklamationen gegen die kapitalistische Aneignung vom Standpunkte des „Eigentumrecht“ das Verständnis für die Entstehung des Mehrwerts aus Kapital ebenso versperrt, wie er sich früher durch seine Deklamationen gegen das „Sparen“ das Verständnis für die Entstehung des Kapitals aus Mehrwert versperrt hatte. So gehen Rodbertus alle Voraussetzungen für das Begreifen der kapitalistischen Akkumulation ab, und er bringt es fertig, darin sogar vor v. Kirchmann den kürzeren zu ziehen.
Summa: Rodbertus will unumschränkte Erweiterung der Produktion, aber ohne alles „Sparen“, d. h. ohne kapitalistische Akkumulation! Er will unumschränkte Steigerung der Produktivkräfte – aber eine feste Mehrwertrate durch Staatsgesetz! Mit einem Wort, er zeigt völlige Verständnislosigkeit für die eigentlichen Grundlagen der kapitalistischen Produktion, die er reformieren will, wie für die wichtigsten Ergebnisse der klassischen Nationalökonomie, gegen die er kritisch zu Felde zieht.
Deshalb sagt Professor Diehl natürlich, Rodbertus habe in der theoretischen Nationalökonomie durch seine „neue Einkommenstheorie“ und durch die Unterscheidung der logischen und historischen Kategorien des Kapital (jenes bewußte „Kapital an sich“ im Gegensatz zum Einzelkapital) bahnbrechend gewirkt. Und deshalb nennt ihn natürlich Professor Adolph Wagner „den Ricardo des ökonomischen Sozialismus“, um so die eigene Unschuld in bezug auf Ricardo, Rodbertus wie den Sozialismus mit einem Schlage zu dokumentieren. Lexis aber findet gar, daß Rodbertus „seinem britischen Rivalen“ an Kraft des abstrakten Denkens mindestens gleichkäme; ihn aber in der „Virtuosität der Aufdeckung des tiefsten Zusammenhanges der Erscheinungen“, in der „Lebendigkeit der Phantasie“ und vor allem – in seinem „ethischen Standpunkt gegenüber dem Wirtschaftsleben“ weitaus überträfe. Das hingegen, was Rodbertus wirklich in der theoretischen Ökonomie außer seiner Kritik der Grundrente von Ricardo geleistet hat: seine stellenweise ganz klare Unterscheidung von Mehrwert und Profit, seine Behandlung des Mehrwerts als Ganzes im bewußten Unterschied von dessen Teilerscheinungen, seine teilweise vortreffliche Kritik des Smithschen Dogmas über die Wertzusammensetzung der Waren, seine scharfe Formulierung der Periodizität der Krisen und die Analyse ihrer Erscheinungsformen – wertvolle Ansätze, um die Analyse über Smith-Ricardo hinauszuführen, die freilich an der Konfusion in den Grundbegriffen scheitern mußte –, das alles sind den offiziellen Bewunderern Rodbertus’ meistens böhmische Dörfer. Franz Mehring hat schon auf das merkwürdige Los Rodbertus’ hingewiesen, für seine angeblichen nationalökonomischen Großtaten in den Himmel gehoben, wegen seiner wirklichen politischen Verdienste hingegen von denselben Leuten „wie ein dumme Junge“ behandelt zu werden. [2*] In unserem Fall handelt es sich |224| aber nicht einmal um den Gegensatz seiner ökonomischen und politischen Leistungen: Auf dem Gebiete der theoretischen Nationalökonomie selbst haben ihm seine Lobhudler ein großes Denkmal auf dem Sandfelde errichtet, wo er mit dem hoffnungslosen Eifer eines Utopisten grub, während sie zugleich die paar bescheidenen Beete mit Unkraut haben überwuchern und in Vergessenheit geraten lassen, in denen er einige fruchtbare Setzlinge hinterlassen hatte. (21)
Im ganzen kann man nicht behaupten, daß das Problem der Akkumulation seit der ersten Kontroverse, in preußisch-pommerscher Behandlung, vorwärtsgekommen wäre. Wenn die ökonomische Harmonielehre inzwischen von der Höhe Ricardos auf Bastiat-Schulze heruntergekommen war, so hat auch die soziale Kritik dementsprechend den Abrutsch von Sismondi auf Rodbertus vollzogen. Und wenn die Kritik Sismondis im Jahre 1819 eine geschichtliche Tat war, so waren die Reformideen Rodbertus’ schon bei ihrem ersten Auftreten, zumal aber in seinen späteren Wiederholungen ein kläglicher Rückschritt.
In der Polemik zwischen Sismondi und Say-Ricardo bewies die eine Seite die Unmöglichkeit der Akkumulation infolge der Krisen und warnte vor der Entfaltung der Produktivkräfte. Die andere Seite bewies die Unmöglichkeit der Krisen und befürwortete die schrankenlose Entfaltung der Akkumulation. Jede war trotz der Verkehrtheit des Ausgangspunkts in ihrer Art konsequent. v. Kirchmann und Rodbertus gehen beide, wie auch nicht anders möglich war, von der Tatsache der Krisen aus. Trotzdem aber jetzt, nach der geschichtlichen Erfahrung eines halben Jahrhunderts, die Krisen sich gerade durch ihre Periodizität nur als Bewegungsform der kapitalistischen Reproduktion deutlich erwiesen hatten, wurde auch hier das Problem der erweiterten Reproduktion des Gesamtkapitals, der Akkumulation, mit dem Problem der Krisen völlig identifiziert und dadurch auf das tote Gleis des Suchens nach einem Mittel gegen Krisen geschoben. Die eine Seite sieht dabei das Mittel in dem restlosen Verzehren des Mehrwerts durch die Kapitalisten, d. h. im Verzicht auf die Akkumulation, die andere – in einer gesetzlichen Fixierung der Mehrwertrate, d. h. gleichfalls im Verzicht auf die Akkumulation. Die Spezialschrulle Rodbertus’ beruht hierbei darauf, daß er ohne kapitalistische Akkumulation eine schrankenlose kapitalistische Steigerung der Produktivkräfte und des Reichtums erhofft und befürwortet. Zu einer Zeit, wo der hohe Reifegrad der kapitalistischen Produktion bald ihre grundlegende Analyse durch Marx ermöglichen sollte, artete der letzte Versuch der bürgerlichen Ökonomie, allein mit dem Problem der Reproduktion fertig zu werden, in eine abgeschmackte kindische Utopie aus.
16. Kapitel – 18. Kapitel
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1. l. c., Bd. III, S. 176.
2. l. c., Bd. I, S. 53 u. 57.
3. l. c., Bd. I, S. 206.
4. l. c., Bd. I, S. 19.
5. l. c., Bd. II, S. 110.
6. l. c., Bd. II, S. 144.
7. l. c., Bd. II, S. 146.
8. l. c., Bd. II, S. 155.
9. l. c., Bd. II, S. 233.
10. l. c., Bd. II, S. 226.
11. l. c., Bd. II, S. 156.
12. l. c., Bd. I, S. 240.
13. l. c., Bd. II, S. 25.
14. l. c., Bd. I, S. 250.
15. l. c., Bd. I, S. 295. Auch hier käute Rodbertus sein Leben lang nur die Ideen wieder, die er schon 1842 in seinem Zur Erkenntniß [unserer staatswirthschaftlichen Zustände] ausgesprochen hatte: „Indessen ist man für den heutigen Zustand selbst so weit gegangen, nicht bloß den Arbeitslohn, sondern selbst Renten und Profit zu den Kosten des Guts zu rechnen. Diese Ansicht verdient daher eine ausführliche Widerlegung. Ihr liegt zweierlei zum Grunde: a) eine schiefe Vorstellung von Kapital, in welcher man den Arbeitslohn in gleicher Weise zum Kapital rechnet wie Material und Werkzeuge, während er doch nur mit Renten und Profit auf gleicher Linie steht; b) eine Verwechselung der Kosten des Guts mit den Auslagen des Unternehmers oder den Kosten des Betriebs.“ (Zur Erkenntniß, Neubrandenburg und Friedland 1842, S. 14.)
16. l. c., Bd. I, S. 304. Genauso bereits in Zur Erkenntniß [unserer staatswirthschaftlichen Zustände]“: „Man muß ... das Kapital im engeren oder eigentlichen Sinne von dem Kapital im weiteren Sinne oder Unternehmungsfonds unterscheiden. Jener umfaßt den wirklichen Vorrat von Werkzeugen und Material, dieser den ganzen nach den heutigen Verhältnissen der Teilung der Arbeit zur Unternehmung eines Betriebes notwendigen Fonds. – Jener ist das zur Produktion absolut notwendige Kapital, dieser hat nur durch die heutigen Verhältnisse eine solche relative Notwendigkeit. Jener Teil ist daher das Kaital im engeren und eigentlichen Sinne allein, und nur mit ihm fällt der Begriff des Nationalkapitals zusammen.“ (l. c., S. 23 u. 24.)
17. l. c., Bd. I, S. 292.
18. l. c., Bd. II, S. 136.
19. l. c., Bd. II, S. 225.
20. l. c., Bd. I, S. 61.
21. Übrigens ist ihm das schlimmste Denkmal von seinen postumen Herausgebern gesetzt worden. Diese gelehrten Herren, Professor Wagner, Dr. Kozak, Moritz Wirth und wie sie alle heißen, die sich in den Vorreden zu seinen Nachlaßbänden wie ein Haufen ungebärdiger Diener im Vorzimmer zanken, ihren persönlichen Tratsch und ihre Eifersüchteleien austragen und einander coram publico beschimpfen, haben dabei nicht einmal die elementarste Sorgfalt und Pietät aufgebracht, um das Entstehungsdatum der einzelnen vorgefundenen Manuskripte Rodbertus’ festzustellen. Sie haben sich z. B. erst von Mehring belehren lassen müssen, daß das älteste aufgefundene Manuskript von Rodbertus nicht aus dem Jahre 1837, wie Professor Wagner souverän beschlossen hatte, sondern frühestens aus dem Jahre 1839 stammen könne, sintemalen darin gleich in den ersten Zeilen von geschichtlichen Ereignissen aus der Chartistenbewegung die Rede ist, die in das Jahr 1839 gehören, was zu wissen für einen Professur der Nationalökonomie sozusagen Pflicht war. Professor Wagner, der in den Vorreden zu Rodbertus mit seiner Wichtigtuerei und seiner schrecklich „besetzten Zeit“ alle Augenblicke lästig wird und der überhaupt nur mit seinen „Fachkollegen“ über die Köpfe des übrigen Menschenpöbel spricht, hat die elegante Lektion Mehrings vor versammelten Fachkollegen als großer Mann schweigend hingenommen. Professor Diehl aber hat ebenso schweigend im „Handwörterbuch der Staatswissenschaften“ das Datum 1837 einfach auf 1839 korrigiert, ohne auch nur mit einer Silbe den Lesern zu verraten, wann und von wem ihm die Erleuchtung ward.
Die Krone bildet jedoch die wohl „fürs Volk“ bestimmte „neue wohlfeile Ausgabe“ bei Puttkammer und Mühlbrecht aus dem Jahre 1899, die einige der sich zankenden Herren Herausgeber friedlich vereinigt, ihren Zank aber in den Vorreden mit aufgenommen hat, eine Ausgabe, wo z. B. aus dem früheren wagnerschen Band II nunmehr Band I gemacht worden ist, man aber Wagner trotzdem in der Einleitung zu Band III ruhig weiter von „Band II“ fortwährend reden läßt, wo der Erste sociale Brief in Band III, der zweit und dritte in Band II und der vierte in Band I geraten ist, wo überhaupt die Reihenfolge der Socialen Briefe, Kontroversen, Teile Zur Beleuchtung [der Socialen Frage] und Bände, chronologische und logische Zusammenhänge, Datum der Herausgaben und Datum der Entstehung der Schriften ein undurchdringlicheres Chaos darstellen als die Schichtungen der Erdrinde nach mehrmaligen vulkanischen Ausbrüchen und wo – im Jahre 1899 – wohl aus Pietät für Professor Wagner das Datum der ältesten Schrift Rodbertus’ auf 1837 beibehalten worden ist, trotzdem Mehrings Belehrung bereits 1894 erfolgt war! Man vergleiche damit des Marxschen Nachlaß in den Ausgaben von Mehring und Kautsky bei Dietz, und man wird sehen, wie sich in scheinbar so äußerlichen Dingen tiefere Zusammenhänge spiegeln. So wird das wissenschaftliche Erbe der Meister des klassenbewußten Proletariats gepflegt und so wird von des offiziellen Gelehrten der Bourgeoisie das Erbe eines Mannes vertrödelt, der nach ihrer eigenen interessierten Legende ein erstklassiges Genie war! Suum cuique – war der Wahlspruch Rodbertus’.
1*. Siehe Karl Marx: Das Elend der Philosophie. In Karl Marx/Friedrich Engels: Werke, Bd. 4, S. 130/131.
2*. Siehe Franz Mehring: Zur neueren Rodbertus-Literatur. In: Die Neue Zeit (Stuttgart), 12. Jg. 1893/1894, S. 528.
Zuletzt aktualisiert am 14.1.2012